1977 startete der damals 19-Jährige Helmut Fleinghaus mit dem Studium von Schulmusik und Philosophie, heute trägt er ein „Prof. Dr.“ vor dem Namen und leitet als Rektor die Hochschule für Kirchenmusik der Evangelischen Kirche von Westfalen. Eine herausfordernde Aufgabe, gilt es doch stets ein Team aus lehrenden Individualisten (Festangestellten und Honorarkräften), fast alle vorzugsweise unter vier Augen unterrichtend, und einer Verwaltung, die aus Nichtmusikern besteht, zu koordinieren.
Herr Prof. Dr. Fleinghaus, welche Empfehlung in Bezug auf Führung möchten Sie in das Lehrbuch jeder Nachwuchs-Führungskraft schreiben?
Da habe ich mehrere Empfehlungen, die mir wichtig sind: Ich versuche, keine grundsätzlichen Entscheidungen in Phasen großen Zeitdrucks zu fällen, z. B. während der Prüfungszeiten der Semesterschlüsse. Zu oft ist die Menge der Dringlichkeiten so groß, dass Urteile auf Grund eindimensionalen Denkens gefällt werden müssten. Dann doch lieber erst einmal nicht, wenn es sich machen lässt.
Zweitens: „Gespräch“ heißt Zuhören, viel mehr als Selberreden. Wer die Menschen in einem Betrieb kennt, weiß - so denke ich - auch, was dieser Betrieb leisten kann und wie die Leistung zu Stande kommt. Mitarbeiter, die sich wahrgenommen fühlen, arbeiten verantwortungsbewusster und damit effektiver.
"Es verschleißt der beste Spezialist seine Energien und die der Anderen, wenn er nicht in der Lage ist, die Belange der Gesamtheit zu erkennen und diesen zu folgen."
Und wer hat Ihnen einen Rat gegeben, der Ihnen in Bezug auf Führung besonders geholfen hat?
Bischof Hermann Kunst, erster Bevollmächtigter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Sitz der Bundesregierung, riet mir 1987, bei Stellenbesetzungen primär darauf zu achten, dass der oder die Neue ins vorhandene Team passe. Erst danach komme die fachliche Qualifikation. Ich kann ihm darin nur folgen. Es verschleißt der beste Spezialist seine Energien und die der anderen, wenn er nicht in der Lage ist, die Belange der Gesamtheit zu erkennen und diesen zu folgen. An einer Hochschule ist man als Führungskraft niemals der Alleinverantwortliche für Neubesetzungen, ganz gleich, welcher Position. Ich habe deshalb für Kunsts Ansicht geworben und mich dafür eingesetzt. Meistens habe ich dafür eine Mehrheit gefunden. Ein bleibendes Problem ist, dass die kurze Zeitspanne einer Bewerbungssituation nicht immer erlaubt, die Teamfähigkeit einer Person halbwegs sicher zu erkennen.
Hat es auch schon einmal einen Rat gegeben, von dem Sie heute Abstand nehmen?
Manche sagen, die Mitwirkung des Teams - im Fall unserer Hochschule reden wir von bis zu 60 Lehrkräften - bei richtungweisenden Entscheidungen verlangsame die Bewegungsfähigkeit und bremse die Weiterentwicklung eines Unternehmens. Besser sei, wenn einer beschließe und die anderen die Beschlüsse ausführen würden. Aus meiner Sicht ein schlechter Rat. Da geht viel Motivation verloren. Das Teamgefühl leidet, denn einer ist dann gleicher als die anderen, und schlimmstenfalls kann dieser Stil wirken, als sei es gleichgültig, was die Belegschaft meine und wolle. Wer in der beschriebenen Weise leitet, läuft Gefahr, gute Ideen zu übersehen, weil sie gar nicht erst geäußert werden können. Auch in einem Unternehmen sollte zudem der Gedanke demokratischen Vorgehens gepflegt werden. In einer Gesellschaft, in der Vorstellungen wieder Raum greifen, die man auf Grund der deutschen Vergangenheit überwunden glaubte, kann die Wahrung und Förderung einer demokratischen Kultur nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Welche konkrete Maßnahme bzw. innere Haltung hat für Sie sehr gut funktioniert, um die Motivation der Mitarbeitenden zu fördern?
Ich habe mich bemüht, die Vokabel „Leistung“ aus meinem Wortschatz zu verbannen und den Gedanken an die Leistungsfähigkeit des Individuums in der Hierarchie der Beurteilung so weit nach unten zu stellen, wie möglich. Stattdessen geht es mir um Vertrauen zu den Beschäftigten und die Förderung der individuellen Fähigkeiten und Stärken. Wenn die Kolleginnen und Kollegen spüren, dass sie in ihrem Können und Reflektieren wahr- und ernst genommen werden, dann werden sie gerne arbeiten und das Beste leisten, was sie können. Frustrierend für die Führungskräfte bleibt, dass mitunter die Leistungsfähigkeit einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters ihre Grenzen hat.
"Wenn die Kolleginnen und Kollegen spüren, dass sie in ihrem Können und Reflektieren wahr- und ernst genommen werden, dann werden sie gerne arbeiten und das Beste leisten, was sie können."
Steckten Sie in Sachen Führung schon einmal in einer Sackgasse? Wie haben Sie aus dieser herausgefunden?
Voraussetzung meiner Haltung gegenüber allen Mitarbeitenden ist, dass sie freie, damit aber auch für ihr Tun und Verhalten verantwortliche Persönlichkeiten sind. Ich bin zum Glück selten, dann aber auch für mich überraschend, zwei-, dreimal auf Menschen gestoßen, die nicht frei sein wollten, daher aber auch Verantwortung ablehnten und versuchten, die Gründe für Fehlleistungen prinzipiell bei Kolleginnen, Kollegen, bei mir als Führungsperson zu sehen. Da waren auch Gespräche fruchtlos, und letztlich hilft dann nur die Trennung, ein aus meiner Sicht für beide Beteiligten unerfreulicher und belastender Prozess.
Bevor die betreffende Mitarbeiterin bzw. der betreffende Mitarbeiter ging, habe ich mit ihr / ihm über den Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung gesprochen, wie er sich aus meiner Sicht darstellt, und damit eine Begründung für die Trennung genannt. Außerdem habe ich begonnen, bei Neueinstellungen dieses Verhältnis zu thematisieren, wobei die Begriffe "Freiheit" und "Verantwortung" sperrig sind. "Eigenverantwortliche Betreuung eines Arbeitsbereichs" ist eingängiger und für die meisten sofort einsehbar, erst recht, wenn dies erläutert wird.
Was war eine Ihrer Entscheidungen als Führungskraft, die sich sehr ausgezahlt hat?
Als ich die Leitung unserer Hochschule übernahm, habe ich den Studierenden die komplette Verantwortung für ein Hochschulkonzert übertragen, von der Konzeption, der Probenarbeit über die Werbung bis zur Aufführung. Es war zunächst etwas schwierig, die Lehrkräfte von einer Einmischung abzuhalten, aber am Ende wurden diese Konzerte zu den bestbesuchten und beliebtesten, die unsere Hochschule zu bieten hat. Sie haben zu einer deutlich besseren Identifikation der Studierenden mit „ihrer“ Hochschule, zu einer deutlich veränderten Wahrnehmung der Studierenden durch die Lehrkräfte und zu einem besseren Zusammengehörigkeitsgefühl geführt. Vom Bestreben der Studierenden, das Beste aus sich herauszuholen, einmal ganz zu schweigen.
Kommentar schreiben