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„Kontrolle ist eher überflüssig, Vertrauen ist Grundlage.“

Vor 50 Jahren wäre Marius Bruns - so schätzt er selbst - keine Führungskraft gewesen, sondern müsste sich regelmäßig einen neuen Job suchen. Er hat Glück, mit seiner Vorstellung von interdisziplinärer, kollaborativer Arbeit, seiner kritischen Haltung zu Autoritäten und seinem Wunsch nach Autonomie in Zeiten der Digitalisierung zu arbeiten. So kann der ungelernte Querulant (41, Bremer) seine Fähigkeiten trotzdem einbringen, aktuell als Unit Director beim Bremer Standort der Connected Commerce Agentur hmmh. Er wünscht sich, dass Entwicklungen aus der Arbeitswelt sich auch in der Gesellschaft und Politik niederschlagen.

 

Marius, wo hast du eine Inspiration gefunden, die dir in Sachen Führung sehr geholfen hat?

Das ist schwierig. Inspiration und Rat finden sich überall. Am meisten habe ich mir von „dienenden Rollen“ abgeschaut, die oft gar keine Führungskräfte waren – von Scrum Mastern und Coaches. Es gibt aber ein paar Momente und Personen, die mich wichtige Aspekte gelehrt haben.


Ein ehemaliger Kollege, der mir bei einer Firmenfeier nach dem Genuss mehrerer Biere sehr helfen konnte bei Problemen, die sich daraus ergeben hatten, dass ich frisch in dem Job war und mir alles anders vorgestellt hatte. Realitätsschock sozusagen. Nach dem Kater am nächsten Morgen blieb ein gutes Gefühl und ich habe mich an Ratschläge von ihm versucht zu erinnern – aber da gab es keine, er hatte ausschließlich Fragen gestellt. Die Ratschläge kamen von mir selbst.


Dann noch ein zu dem Zeitpunkt externer Scrum Master, der ein Team coachte, in dem ich war. Nach ein paar Wochen fragte ich mich in einer Retrospektive, was er eigentlich gerade macht – er stand in der Ecke und schaute zu. Das Team machte die Retro fast alleine. Durch seine Hilfe war das Team zu einem selbstorganisierten Team geworden. Er war noch dabei, er hat dorthin geführt, aber das Team hat zu dem Zeitpunkt keinen Moderator benötigt, sondern sich selber moderiert. Ohne dass dies von ihnen bemerkt wurde. Wahnsinn!

Und was für einen Rat würdest du wiederum Anderen Führungskräften geben?

1. "Nimm dich nicht so wichtig."

Alles was du kannst, kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit jemand anderes besser als du. Aber je mehr du deine Fähigkeiten und Aufgaben und Verantwortungen teilst, umso besser können du und dein Team werden. Nutze das Potenzial aller, nicht nur dein Eigenes – und teile dein Potenzial mit anderen. So kann eine Führungskraft über sich selbst hinauswachsen, über die Arbeit mit anderen. Der Einzelne ist nicht so stark, schnell, und kreativ wie eine Gruppe es sein kann. Der Erfolg gehört dem Team. Das Team ist wichtiger als du. Du bist Teil des Teams.

 

All diese Themen in das Gegenteil gekehrt sind übrigens ein hervorragendes Rezept für Burn-out, Risiko, Entfremdung und Misserfolg.


"Erwarte Fehler. Wirklich, erwarte sie. Und wenn sie da sind, dann analysiere sie, teile sie, und schau ob du es schaffst, dass sie nicht wiederkommen."



2. "Erwarte Fehler."

Wirklich, erwarte sie. Und wenn sie da sind, dann analysiere sie, teile sie, und schau ob du es schaffst, dass sie nicht wiederkommen. Aber mach dir keine Sorgen ob sie wiederkommen, denn du erwartest ja Fehler. Um was? Ja, um sie zu analysieren, sie zu teilen, …

Und Von welchem Rat, den viele Führungskräfte erhalten, würdest du Abstand nehmen wollen?

Eigentlich alle Ratschläge, die im Kollegen, Partner, Kunden etc. einen „Kombattanten“, einen Gegner sehen. Perfides Beispiel: „Setze diejenigen mit denen du verhandelst mit dem Blick zum sonnigen Fenster, damit du die Sonne im Rücken hast und sie geblendet sind.“

 

Grundsätzlich musste ich lernen, mein eher positives Menschenbild auch in Führungsfragen zu nutzen. Die Ratschläge im Vorfeld waren eher geprägt von „Command and Control“ und einem generell misstrauischen Menschenbild. Den Klassiker „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ interpretiere ich eher als „Kontrolle ist eher überflüssig, Vertrauen ist Grundlage“. Und ich versuche, ein Umfeld zu erzeugen, dass so eine Haltung überhaupt erst zulässt.


"Denn ich muss nicht unbedingt herausfinden ob sie ihre Arbeit gut machen, ich muss herausfinden ob sie es erkennen und reagieren können falls sie ihre Arbeit nicht gut machen."


Hast du während deiner Führungskarriere etwas wichtiges aus einem Fehler lernen können?

Augenhöhe hat zwei Seiten, man kann sie nicht im Gegenzug erwarten, wenn man sie anbietet, gerade in der Beziehung Führungskraft/Mitarbeiter:in. Sie braucht zudem Maturität, Mut und Commitment und viel soziale Kompetenz auf beiden Seiten. Schwieriger noch, sie ist nicht permanent gegeben, sondern muss eventuell neu verhandelt oder etabliert werden.

 

So war es bei mir, dass eine gewisse Augenhöhe, die vor einer Beförderung bestand, nach der Beförderung komplett neu verhandelt werden musste. Was mir erst nach vielen Missverständnissen und einigen vergossenen Tränen aufgefallen ist. Beziehungen ändern sich mit Führungsverantwortung, vor allen Dingen aus den Implikationen der neu erworbenen Verantwortung, was vielleicht nicht sofort sichtbar ist.

Wie stellst du als Führungskraft sicher, dass deine mitarbeitenden autonom arbeiten und dabei Höchstleistung bringen, anstatt ihre Autonomie zu Lasten der Firma auszunutzen?

Das ist eine Frage, hinter der ganze Themenfelder mit jeweils hoher Komplexität liegen.

Erst mal ist Höchstleistung nicht unbedingt positiv, denn permanente Höchstleistung brennt aus und stellt auch nicht unbedingt Qualität oder Innovation sicher, da in unserer Wirtschaft Höchstleistung oft Produktivität im Sinne von Quantität bedeutet. Es geht mir eher darum, die  Kolleg:innen ganzheitlich zu fordern, und zwar auf einem Level, das gehalten werden kann. Zu dieser Forderung gehört auch, dass Interessen der Firma in die Autonomie mit übernommen werden, also Teil der Selbstorganisation sind. Und natürlich auch umgekehrt, dass die Organisation der Firma im Sinne der Mitarbeiter:innen sind. Ich würde hier folgende Gegenfrage stellen: Wie können Mitarbeiter:innen sicherstellen, dass Führungskräfte ihre Autonomie nicht zu Lasten der Firma ausnutzen?


"Wie können Mitarbeiter:innen sicherstellen, dass Führungskräfte ihre Autonomie nicht zu Lasten der Firma ausnutzen?"



Und wie findest du für dich heraus, ob deine Mitarbeitenden Ihre Arbeit gut machen?

Durch Kunden- und Userfeedback, Nutzertests, abhängig vom Projekt ein paar KPI, welche die Performance einer Lösung messen. Aber auch und eigentlich vor allem durch Rückmeldungen von Team-Kollegen und eigene Beobachtungen. Bringen sich die Mitarbeiter:innen aktiv ein? Sind sie innovativ und mutig? Trauen sie sich auch, mal anzuecken und unkonventionelle Wege zu beschreiten oder vorzuschlagen? Denn was ein Team und eine Firma letztendlich brauchen, sind Mitarbeitende, die Horizonte erweitern, die sich selber herausfordern und Spaß an ihren Projekten, an ihrer Arbeit haben. Und dazu ist oft einiges an Mut und Beteiligung von Nöten. Ich lese da gerne den Raum: Nimmt das Team ihren Raum ein oder befinden sie sich nur dort? Wie umtriebig und lebhaft sind sie, wie viel Spaß haben sie? Denn ich muss nicht unbedingt herausfinden ob sie ihre Arbeit gut machen, ich muss herausfinden ob sie es erkennen und reagieren können falls sie ihre Arbeit nicht gut machen.

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