Susanne Vieker hat sich im Jahr 2000 als ausgebildete Fachinformatikerin voller Tatendrang in die Arbeitswelt gestürzt. 9 Jahre arbeitete Sie als Softwareentwicklerin, danach begann eine Lernreise durch viele Facetten und Positionen des Managements. Sie bildete sich als Projektleiterin fort und leitete mehrere Softwareentwicklungsprojekte, unter anderem auch in Kooperation mit großen Konzernen wie SAP. Sie wurde dann Bereichsleiterin, erst für das Customer Management, dann für den Bereich Software Development. Heute ist sie Mitglied der Geschäftsleitung und Prokuristin der Haufe-Lexware Real Estate AG. In ihrer Verantwortung liegen das Business Development, der gesamte Softwareentwicklungsprozess sowie das Customer Management. Neben dem Sicherstellen von fachlichen Kompetenzen im Unternehmen und dem Erarbeiten von Unternehmens- und Produktstrategien macht es ihr besonders Spaß, Haltungs- und Kulturthemen zu beobachten, zu analysieren und zu verändern.
Frau Vieker, Sie sprechen von einer Lernreise durch das Management, die sie durchlaufen haben. Gab es jemanden, der Ihnen entlang dieser Reise durch guten Rat besonders geholfen hat? Wenn ja, wie lautete dieser Rat?
Ich persönlich habe das große Glück, seit vielen Jahren mit einem persönlichen Coach zusammen zu arbeiten. Dieser Coach ist eine Psychologin, die große Unternehmen in Change-Prozessen berät. Über einen Change-Prozess im eigenen Unternehmen bin ich mit ihr in Kontakt gekommen und führe mit ihr regelmäßig spannende Einzelgespräche.
Ein sehr wichtiger Rat von ihr war, Konflikte und Störungen offen zu machen. Oftmals gibt es zwischenmenschliche aber auch geschäftliche Unstimmigkeiten vor allem zwischen Führungskräften. Diese sind genauso ernst zu nehmen und zu bearbeiten, wie Probleme mit eigenen Mitarbeitern. Mitarbeiter möchten gerne einen Vorgesetzten haben, der im Management akzeptiert und geschätzt wird. Daher ist es sehr wichtig, im Management seine Position zu finden und auf einer konstruktiven und integrativen Art Konflikte auf dieser Ebene zu lösen. Das ist nicht immer leicht, denn hier kommt das Thema Macht wieder ins Spiel. Auf Managementebene ist Macht immer ein Thema (mal größer, mal kleiner) und kann oft ein Konfliktauslöser sein. Dies zu erkennen und so anzusprechen, dass am Ende eine positive Klärung erfolgt ist, kann schwer sein. Hierfür benötigt man Mut, eine geschickte Kommunikation und ein Gespür für die richtige Gelegenheit. Das kann und muss man tatsächlich immer wieder üben und reflektieren. Eine Grundvoraussetzung dafür ist, konfliktfähig zu sein. Konflikte zu scheuen und ihnen aus dem Weg zu gehen, ist die schlechtere Variante.
"Mitarbeiter möchten gerne einen Vorgesetzten haben, der im Management akzeptiert und geschätzt wird. Daher ist es sehr wichtig, im Management seine Position zu finden und auf einer konstruktiven und integrativen Art Konflikte auf dieser Ebene zu lösen."
Wie könnte man also vorgehen:
1. Situation, in der der Konflikt bemerkt wurde, bewerten: In welcher Situation befinden sich die Konfliktbeteiligten und der vermeintliche Konfliktauslöser? Was kann zu der Überreaktion geführt
haben?
2. Eigenes Verhalten reflektieren: Habe ich bewusst oder unbewusst provoziert oder mich unangemessen verhalten? War ich wertschätzend genug? War ich in meiner Aussage deutlich genug? War ich
sachlich genug? Habe ich meine Motivation und den Hintergrund meiner Aussage klar gemacht? Habe ich mit einer Aussage jemanden persönlich getroffen?
3. Im Nachgang um ein 4-Augen-Gespräch bitten und den Grund für das Gespräch nennen. Dann eigenen Eindruck der Situation sowie die eigenen Erkenntnisse schildern. Wichtig ist, immer in der
ich-Form zu sprechen.
4. Den anderen seine Sicht auf die Situation schildern lassen.
5. Dem Gegenüber klar machen, dass kein Interesse an einem anhaltenden Konflikt besteht und idealerweise Vereinbarungen treffen, wie eine solche Situation verhindert werden kann.
Natürlich ist das oben genannte Vorgehen stark vereinfacht dargestellt. Es empfiehlt sich auch, in komplexeren Fällen einen Außenstehenden um seine Einschätzung zu bitten. Ist man selbst emotional berührt, kann es helfen, mit dem Gespräch einige Zeit zu warten, um Abstand zu gewinnen und die Situation möglichst sachlich bewerten zu können. Es ist allerdings auch völlig legitim, dem Konfliktpartner klar zu sagen, worüber man sich geärgert hat und warum das so ist. So bekommt das Gegenüber ein besseres Gefühl für die eigenen Empfindsamkeiten. Das Gespräch kann oft auch sehr erfolgreich auf neutralem Boden, im Café oder Restaurant, auf der Parkbank oder in einem anderen Raum (weder das eigene Büro, noch das des anderen, noch der Konflikt-Meetingraum) verlaufen.
Wovon ich abrate, ist das Lösen von Konflikten auf schriftliche Art. Weder per Email, noch per Whatsapp oder anderer Chatformen ist es möglich, komplexe und emotionale Messages zu senden. Die Erfolgswahrscheinlichkeit ist bei einem persönlichen Gespräch am höchsten.
Geholfen haben mir außerdem auch Seminare, in denen man Grundlagen von Führung und Teamentwicklungsprozessen vermittelt bekommt. Ohne dieses theoretische Hintergrundwissen ist das Verstehen bspw. verschiedener gruppendynamischer Prozesse wesentlich schwerer.
Welche konkrete Maßnahme bzw. innere Haltung hat für Sie sehr gut funktioniert, um die Motivation der Mitarbeitenden zu fördern und sich für den Erfolg der Firma zu engagieren?
Es gibt Maßnahmen, die aus meiner Sicht für Mitarbeiter elementar sind:
1. Die Sinnhaftigkeit der Arbeit muss den Mitarbeitern klar sein. Jedes Unternehmen verfolgt einen Zweck, ein Ziel mit seiner Leistung oder seinen Produkten. Die Vision, was daraus entstehen
soll, die Strategie, die es benötigt, um in die taktische Umsetzung zu kommen, muss transparent und klar sein. Nur wenn der Mitarbeiter versteht, worum es dem Unternehmen geht, kann er auf die
Vision und das Ziel bewusst einzahlen.
Ich habe immer wieder erlebt, wie dankbar und zufrieden Mitarbeiter sind, wenn sie dieses „big picture“ kennen und verstehen. Ist das nicht der Fall, fühlt sich der Mitarbeiter bei seiner Arbeit wie in einem lufleeren Raum. Er weiß nicht, ob er noch auf dem richtigen Weg ist und ob seine Arbeit für den Kunden oder das Unternehmen einen Mehrwert bietet.
Das Weitergeben und Erläutern der Vision und des Sinns ist keine einmalige Aktion. Es muss permanent auf verschiedene Arten geschehen. Ich persönlich nutze jede Präsentation, jedes Gespräch und jedes Meeting, um Bezug darauf zu nehmen. Ich bemerke immer wieder, dass viele Unklarheiten oder ungewünschte Aktionen von Kollegen und Mitarbeitern darauf zurück zu führen sind, dass ihnen das Bild vom Großen und Ganzen fehlt. Sobald ich das erkenne, formuliere ich das und komme sofort in die Diskussion darüber. Das ist gut, weil mir dadurch die Mitarbeiter zurückspiegeln, an welchen Stellen ich ungenau war oder mir vielleicht selber noch nicht klar bin. Auch in Workshops kann das Thema immer gut aufgegriffen werden - ob bei der Einleitung als ein Tagesordnungspunkt. Wichtig ist, sich immer wieder damit auseinander zu setzen und das auch von den Mitarbeitern zu fordern. So kann die Vision sogar von allen Mitarbeitern eines Unternehmens geschärft und voran getrieben werden.
"Kein Mitarbeiter ist motiviert, wenn er keine Ergebnisse erzielen kann oder permanent in seiner täglichen Arbeit auf Ärger und Reibungsverluste stößt. Mit klar definierten Rollen kann hier schon viel positives bewirkt werden."
2. Die Erwartungshaltung an die verschiedenen Rollen muss klar formuliert sein. Wenn ein Mitarbeiter in einer bestimmen Rolle seiner Arbeit nachgeht, muss er folgendes wissen:
- Was wird von mir in meiner Rolle erwartet (vom Vorgesetzten und von meinen Kollegen)?
- Was verantworte ich in meiner Rolle und was verantworte ich nicht?
- Wo habe ich Schnittstellen zu anderen Rollen?
- Wo gibt es Verantwortungs- oder Aufgabenüberschneidungen mit anderen Rollen?
- Wie gehe ich in solchen Fällen mit dem Konflikt um?
- Welches Verhalten wird von mir erwartet?
Kein Mitarbeiter ist motiviert, wenn er keine Ergebnisse erzielen kann oder permanent in seiner täglichen Arbeit auf Ärger und Reibungsverluste stößt. Mit klar definierten Rollen kann hier schon viel positives bewirkt werden. Wenn ich allerdings möchte, dass sich die Mitarbeiter dennoch als Team fühlen und füreinander einstehen, wenn etwas schief geht oder ein Kollege ausfällt, ist es wichtig, auch den Umgang miteinander vor allem bei Rollenkonflikten oder -überschneidungen zu besprechen und zu vereinbaren. Haltung, Mindsets und Verhaltensregeln müssen klar und transparent sein. Genauso wichtig ist, dass jeder ein Bild von den an seine Rolle angrenzenden Rollen hat. Diese Rollen müssen insbesondere bei Unklarheiten, Kompetenzüberschneidungen und Verantwortungskonflikten gegeneinander abgeglichen werden. Ich ermutige permanent meine Mitarbeiter dazu, beim Erkennen solcher Unklarheiten das Klärungsgespräch zu suchen. Gelingt das nicht, kann die Führungskraft die Moderation übernehmen und wenn nötig auch eine Entscheidung herbeiführen. Die Rollenklärung darf nicht abgewartet oder ignoriert werden.
Welche Empfehlung in Bezug auf Führung möchten Sie in das Lehrbuch jeder NachwuchsFührungskraft schreiben?
Oh, das können unendlich viele sein. Ich versuche, mich auf ein paar Wesentliche zu konzentrieren:
Wer führt, hat Macht.
Ich halte es für enorm wichtig, sich dessen bewusst zu sein. Die Macht darf nicht für eigene, persönliche Interessen missbraucht werden. Eine Führungskraft muss sehr sorgsam mit ihrer Macht
umgehen. Das beginnt bereits im Kleinen und täglich kann eine Führungskraft mehrfach in die Machtfalle tappen. Auf der einen Seite ist sie notwendig, um diverse Ziele und Dinge zu erreichen (zum
Beispiel eine moderne Büroausstattung für Mitarbeiter, die genehmigt werden muss oder eine außergewöhnliche Gehaltserhöhung, die gerechtfertigt werden muss), auf der anderen Seite kann sie
schnell zur gefährlichen Waffe werden (beispielsweise, wenn eine Führungskraft die eigene Position auf Kosten seiner Mitarbeiter stärken will). Machtmissbrauch kann im ganz Kleinen und Banalen,
aber auch im großen Stil stattfinden. Eine Führungskraft muss ich bei jeder Aktion die Frage stellen, ob sie ihre Macht in einer guten Absicht und mit genügend Sorgfalt einsetzt.
"Wenn eine Führungskraft zuviel vorgibt, erzieht sie ihre Mitarbeiter zu Befehlsempfängern, die selbst nicht nachdenken und keine Verantwortung übernehmen."
Übe dich in Selbstreflektion.
Wer aufhört, an sich zu arbeiten und sein eigenes Verhalten zu überprüfen, wird den Zuspruch seiner Mitarbeiter verlieren. Es ist gut, als Führungskraft auch Fehler zu machen und über diese offen zu sprechen. Am Ende sind wir alle nur Menschen und lernen unser Leben lang. Das gilt für Führungskräfte genauso wie für alle anderen Personen auch. Wer nicht mehr reflektiert, ist in seiner persönlichen Weiterentwicklung stark begrenzt.
Führung bedeutet Befähigung.
Eine Führungskraft hat die Aufgabe, ihre Mitarbeiter dazu zu befähigen, herausragende Leistungen zu erbringen. Voraussetzung dafür ist, dass die Führungskraft sich selbst nicht zu ernst und wichtig nimmt. Die Führungskraft muss dem Mitarbeiter, der der Fachmann auf seinem Gebiet ist, NICHT sagen, wie er etwas in welcher Reihenfolge zu tun hat. Die Führungskraft hat die Aufgabe, dem Mitarbeiter das nötige Werkzeug und den nötigen Rahmen zur Verfügung zu stellen. Der Mitarbeiter muss eventuell darin gestärkt werden, Entscheidungen zu treffen oder mutig seiner fachlichen Überzeugung nachzugehen. Wenn eine Führungskraft zu viel vorgibt, erzieht sie ihre Mitarbeiter zu Befehlsempfängern, die selbst nicht nachdenken und keine Verantwortung übernehmen. Damit mache ich mich als Führungskraft zwar in meiner Position unentbehrlich, allerdings werde ich mich nie auf meine Mitarbeiter verlassen können. Den Mitarbeitern fehlt der Halt und das Selbstbewusstsein, selbständig die richtigen Dinge zu tun.
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